Ist es möglich, einen gesellschaftsidealen Menschen zu schaffen?
Im Rahmen des Deutschunterrichtes haben wir (die Klasse M26a) das Theaterstück Maria Stuart von Friedrich Schiller gelesen. Parallel dazu hat unser Lehrer uns die Weimarer Klassik erklärt und über ihre Merkmale, den historischen Kontext und die Hauptautoren gesprochen. Die Weimarer Klassik ist eine deutsche literarische Bewegung, die von 1786 bis 1805 dauerte und aus vier Autoren, die in der Stadt Weimar wohnten, entstand. Einer dieser Autoren war Friedrich Schiller und er hat Maria Stuart während dieser Zeit geschrieben. Diese Bewegung basiert auf den Ideen und Werten der Aufklärung, des Sturm und Drang sowie der griechischen Antike. Insbesondere war das Konzept des "idealen Menschen" ein wichtiger Aspekt der Weimarer Klassik.
Der Ausgangspunkt dieser Idee des "idealen Menschen" ist der allgegenwärtige Dualismus zwischen Materie und Geist des Menschen. Die Materie stellt den Körper des Individuums dar, das Gefühle und Emotionen empfinden kann. Dagegen ist der geistige Teil des Menschen der Verstand, was alle seine Ideen, Ziele und Interessen umfasst. Laut der Weimarer Klassik ist der ideale Mensch jemand, in dem Emotionen und Verstand in Harmonie herrschen.
Diese Idee eines Gleichgewichts zwischen Gefühlen und Verstand wurde bei Schiller in seinem Essay Über die ästhetische Erziehung des Menschen weiterentwickelt, in dem er einen idealen Menschen als "schöne Seele" bezeichnet. Laut ihm wäre eine "schöne Seele" jemand, dessen Neigung und Pflicht in Harmonie sind. Unter Neigung versteht man den Charakter des Menschen, seine Grosszügigkeit oder seinen Mut. Der Pflicht steht für seine guten und moralischen Handlungen, was von Schiller unter den Begriff ästhetisch fällt. Mehr als in Harmonie zu herrschen sind die Neigung und Pflicht einer "schönen Seele" immer miteinander einverstanden, was heisst, dass für einen solchen Mensch die guten Handlungen immer natürlich kommen, ohne gegen seine Emotionen und Neigung anzukämpfen.
Aber wie kann man eine schöne Seele werden? L aut Schiller kann man einen solchen Mensch durch das werden, was er als ästhetische Erziehung bezeichnet. Die ästhetische Erziehung ist also ein durch Kunst und Literatur lebenslanger Veredelungsprozess des Menschen, mit dem Ziel, einen Zustand zu erreichen, in dem Pflicht und Neigung im Gleichgewicht sind. Literatur und Kunst - insbesondere Kunst aus dem griechischen Altertum- sollten das wahrhaft "Schöne" darstellen. Das heisst, sie sollten wichtige Ideen und Konzepte des Lebens wie Freiheit oder Gerechtigkeit darstellen, um die Leute anzutreiben, die Wahrheit zu verstehen und einen besseren Menschen zu werden.
Die Suche danach, eine "schöne Seele" zu werden, wird auch in Maria Stuart von Friedrich Schiller thematisiert. Dieses Streben nach einem Gleichgewicht zwischen Pflicht und Neigung wird durch die Figur von Maria dargestellt. Sie geht tatsächlich im Laufe des Theaterstücks durch eine innere Transformation, in der sie ihre Wahrheit und Frieden findet. Am Ende stirbt sie als "schöne Seele" in einer inneren Harmonie.
Die Suche nach dem idealen Menschen und die Frage, welche Eigenschaften ihn charakterisiert, hat die Leute seit langer Zeit interessiert und wurde im Laufe der Geschichte vielfach untersucht. Bereits in der griechischen Antike haben Philosophen wie Platon oder Aristoteles über dieses Thema gesprochen und man kann es heute immer noch in vielen Filmen, Serien oder Büchern sehen. Insbesondere behandeln viele Werke die Erschaffung eines idealen Menschen durch Computersysteme, genetische Modifikationen oder andere zukünftige Methoden. Ein Beispiel für einen solchen Film ist Matrix Resurrections, die Fortsetzung der drei Filme Matrix, Matrix Reloaded und Matrix Revolutions.
In diesem Film haben Maschinen eine sogenannte "Matrix" erschaffen - eine Simulation der realen Welt. In dieser künstlichen Welt werden Menschen kontrolliert, um genau das richtige Mass an Emotionen zu haben und so sollten sie "perfekt" sein.
Neo, die Hauptfigur, ist jedoch besonders, weil er über diese Illusion hinwegsehen kann und den Code der Matrix erkennt. Er wird also versuchen, das System zu verändern und den Menschen ihre Freiheit zurückgeben.
Die Geschichte weist viele Parallelen zur Weimarer Klassik auf, insbesondere in der Suche des idealen Menschen und seinen Eigenschaften. Tatsächlich versucht das System, perfekte Menschen zu erschaffen, indem es ihre Emotionen kontrolliert. Es ist genau wie in der Weimarer Klassik, in der das Gleichgewicht zwischen Emotion und Verstand die Grundlage dafür ist, ein idealer Mensch zu werden. Die Maschinen versuchen also, durch Emotionskontrolle eine Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen jemand, der in der Weimarer Klassik als "schöne Seele" bezeichnet wird, sind.
Theoretisch sollten diese Menschen "schöne Seelen" sein - aber die Maschinen haben einen wichtigen Aspekt vergessen: den Prozess, einen idealen Menschen zu werden. In der Weimarer Klassik wird dieser Prozesse ästhetische Erziehung genannt - und in Matrix Resurrections wird er durch die Hauptfigur Neo verkörpert.
Neo ist tatsächlich besonders. Er ist nicht "perfekt" wie die anderen in der Illusion. Er hat starke Emotionen, Zweifel und er ist nicht wirklich glücklich. Doch was ihn besonders macht, ist sein Wunsch, die Wahrheit - seine Wahrheit - zu finden. Er stellt sich Fragen, hinterfragt die Realität und versucht aus der Illusion zu gehen. So durchläuft er im Film einen inneren Prozess, an dessen Ende er seine Wahrheit, seine Pflicht und seine Freiheit findet. Das ist also ganz ähnlich wie in der Weimarer Klassik und dem Konzept der ästhetischen Erziehung. Man muss durch einen inneren Entwicklungsprozess gehen, um seine Wahrheit und Freiheit zu finden - und so wird man zu einer "schönen Seele". Jemand wie Neo am Ende des Films, der das Gleichgewicht zwischen seine Pflicht und Neigung gefunden hat.
Ich würde also schlussfolgern, dass die Erschaffung durch biologische Prozesse oder technologische Systeme eines idealen Menschen oder einer "schöne Seele" nicht möglich ist, denn das Konzept der "schöne Seele" ist immer mit dem Prozess der ästhetischen Erziehung verbunden. Das Wichtigste ist, dass man seine eigene Wahrheit, Freiheit und Schönheit findet. Es ist nur durch einen indivuellen, lebenslangen Prozess möglich, dass man sich einer inneren perfekten Harmonie annähern kann. Kein Mensch oder Maschine kann diesen Prozess für uns schaffen.
Powerpoint zur Weimarer Klassik